Wir müssen reden – und zwar über das miteinander Reden

    Reden, ganz besonders miteinander reden, ist eines der wichtigsten zwischenmenschlichen Güter. Fast jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich einem anderen mitzuteilen, ihm von Erlebtem oder von Dingen zu erzählen, die ihn beschäftigen, glücklich machen oder berühren. Gerade mit zunehmendem Alter, wenn die Menschen im eigenen Umfeld immer weniger und die Beschwerden häufig mehr werden, wird dieser zwischenmenschlichen Kommunikation eine ganz besondere Bedeutung beigemessen, da sie häufig keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

    „Um ältere Menschen muss man sich kümmern. Das ist eine Pflicht, die jeder von uns zu erfüllen hat“.

     

    Sich um ältere Menschen kümmern, diese Aufgabe hat meine Großmutter sich zu ihrer stillen Lebensaufgabe gemacht.

    Dabei hat ihre Auffassung von „sich um ältere Menschen kümmern“ viele Facetten. „Früher habe ich eigentlich so gut wie alles gemacht. Vom Einkäufe tätigen über die Begleitung zu Arztbesuchen hin, oder einfach nur Gesellschaft leisten beim Mittagessen – Es war so ziemlich alles dabei. Wenn es sein musste, habe ich auch bei intimeren Angelegenheiten geholfen, ich hatte nie Berührungsängste. Es sind doch einfach Menschen wie du und ich, daran ist für mich nichts eigenartiges. Und wer weiß, vielleicht komme ich eines Tages auch an den Punkt, an dem ich diese Hilfe brauchen werde. Da gibt es doch nichts schöneres, wie wenn sich jemand um mich kümmert, der mir ein Gefühl von Normalität, Verständnis und Herzlichkeit vermittelt.

    Zum reden und zuhören ist man niemals zu alt

    Wenn meine Großmutter mir heute euphorisch davon erzählt, wie sie sich früher um ältere Menschen gekümmert hat, erwähnt sie immer im gleichen Atemzug: „Auch heute kümmere ich mich noch um alte Menschen. Das mag jetzt ironisch klingen, ich bin ja heute selber alt. Aber ich habe eben das Glück, noch einigermaßen fit zu sein. Heute kann ich natürlich für niemanden mehr einkaufen gehen oder ähnliches, aber was ich noch kann, ist Gesellschaft leisten. Und das kann ich gut und mache es genau so gerne wie früher. Kein Mensch soll einsam sein und es ist die Aufgabe eines jeden von uns, dafür zu sorgen, dass niemand an Einsamkeit zu leiden hat“.

    Miteinander reden – Was eine kleines Gespräch alles bewirken kann

    Und damit hat sie sehr recht. Erst kürzlich hatte ich eine Begegnung, die mir gezeigt hat, wie viel Wertschätzung und Dankbarkeit man erfahren kann, wenn man miteinander redet, auch mit „Fremden“.

    Als ich mit meinen Freundinnen vor kurzem in einer Apfelweinkneipe in Frankfurt am Main unterwegs war, haben wir eine Frau kennen gelernt, die uns gezeigt hat, wie viel Freude man einem Menschen mit einer Konversation bereiten kann.

    In den urigen Frankfurter Apfelwein Keltereien ist die Einrichtung, ähnlich wie in bayrischen Brauhäusern, von langen Holztischen geprägt. Als wir an unserem Tisch platziert wurden, saß dort bereits eine ältere Dame. Marie Luise war ihr Name, sie war Mitte 70 und wohnte im gleichen Viertel, in dem sich das Restaurant befand.

    Wir kamen schnell miteinander ins Gespräch und ich merkte, wie viel Freude sie hatte, sich mit uns auszutauschen. Irgendwann fragte ich sie, ob sie öfter alleine hierherkommen würde. Auf diese Frage antwortete sie mir sehr ehrlich und mit einem liebevollen Lächeln: „Weißt du, die Möbel zuhause sprechen ja auch nicht mit mir. Da gehe ich doch lieber ein bisschen raus und beobachte die Leute. Das ist doch besser, als zuhause alleine rum zu sitzen“.

    Und da hat sie absolut recht. Im gleichen Atemzug sagte sie mir zusätzlich, dass es für sie überhaupt nicht schlimm sei, wenn sich mal niemand mit ihr unterhalten würde. Das könne man ja von keinem erwarten.

    Doch als der Abend sich dem Ende näherte und wir uns zum Abschied drückten, sagte sie mir: „Aber weißt du, dass ich jetzt so einen schönen, lustigen und unterhaltsamen Abend mit euch verbringen konnte, das erlebe ich doch eher selten. Dafür möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei euch bedanken. Ich habe das Gefühl, die Menschen von heute sind sehr zurückhaltend geworden. Behaltet euch diese Eigenschaft bei mit Fremden zu reden. Denn das miteinander Reden ist heute leider zu etwas geworden, das man nicht mehr allzu oft erlebt“.

    Miteinander reden: Wenn Kommunikation zu einer Seltenheit wird

    Erst einige Zeit später habe ich realisiert, wie viel Bedeutung ihre Worte hatten. Denn Marie Luise hat sich für etwas bedankt, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Der Austausch zwischen Menschen, von denen sich die einen gerade in der Hochphase ihrer sozialen Kontakte befinden und jenen, die nur noch wenige davon haben.

    Für mich war es völlig selbstverständlich, eine Dame, die alleine mit einer Gruppe wie unserer an dieser langen Tafel sitzt, in unsere Gespräche mit einzubeziehen. Doch Marie-Luises Worte und meine persönlichen Erfahrungen aus Gesprächen mit anderen Senioren haben mir gezeigt, dass dieser zwischenmenschliche Austausch wohl eher eine Seltenheit ist.

    Aber woran liegt es, dass Menschen, die sich nicht kennen, nur noch so selten miteinander sprechen? Ist es nicht eigentlich eine simple Logik, einen Menschen, der sich an einem Ort befindet, der nur so nach Gemeinschaft „schreit“, zu integrieren?

    Der soziale Austausch darf nicht in Vergessenheit geraten

    Aber nicht nur an Orten, wo der Gesellschaftsaspekt im Vordergrund steht, muss der soziale Austausch gefördert werden. Jeder Mensch, ob alt oder jung, freut sich über Ansprache und Integration. Warum reden wir dann nicht einfach mehr miteinander? Warum schauen wir uns lieber kurz an und blicken dann schnell wieder beschämt weg, ohne ein einziges Wort miteinander zu wechseln? Passieren kann uns doch eigentlich nichts.

    miteinander reden

    „Auch wenn ich ein sehr offener und kommunikativer Mensch bin“ sagte Marie Luise mir dann noch, „merke auch ich immer öfter, dass das Interesse, sich miteinander zu unterhalten, immer weniger wird. Ich glaube, die Leute sind einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt, haben zu viel zu tun und vergessen dabei die Gemeinschaft. Ob sie das immer mit Absicht tun, das bezweifle ich. Aber es scheint mir, als würden die Menschen vergessen sich daran zu besinnen, was eine funktionierende Gesellschaft ausmacht: Das Miteinander. Dieser gemeinschaftliche Gedanke ist gerade für uns ältere Menschen wichtiger denn je“.

    Und das ist er, der springende Punkt. Man muss nicht direkt einen ganzen Tag oder Abend miteinander verbringen. Bereits eine kleine Unterhaltung kann einem anderen Menschen eine unglaubliche Freude bereiten, weil er in diesem Moment zu einer Person spricht, die ihm Zeit schenkt und sich ihm annimmt.

    Diese kleine Geste, dieser kleine Beitrag zur zwischenmenschlichen Kommunikation, den kann ein jeder von uns bewältigen. Also sprecht mit den Menschen, besonders zu den älteren! Denn wie sagte schon Albert Camus:

    „Wir müssen immer wieder das Gespräch mit unserem Nächsten suchen. Das Gespräch ist die einzige Brücke zwischen den Menschen“.