Inspirierende Menschen

Luisa - 10 Nov 2020

Die Kunst der Altersdiplomatie – Ein Erfahrungsbericht

Folgt nicht auf jedes Tief wieder ein Hoch?

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Es gibt diese Momente, in denen das Leben einem einfach einen dicken fetten Strich durch die Rechnung macht.

Eben stand man noch himmelhochjauchzend und vor Selbstbewusstsein strotzend dar und im nächsten Moment: Die pure Ernüchterung, die einen unerwartet und mit voller Wucht trifft.

Mit Lichtgeschwindigkeit landet man mit schmetterndem Aufprall auf dem harten Boden der Realität und meint, das Leben hätte aus dem eigenen den schlechtesten Trashfilm aller Zeiten gemacht.

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Auch wenn wohl jeder von uns schon einmal so eine Ernüchterung miterlebt hat, ist es doch faszinierend, dass Gefühle, deren Existenz man durch harte Arbeit schon lange geglaubt hatte verdrängt zu haben, in Null-Komma-Nichts wieder da sind.

Dass sie dann auch noch die Dreistigkeit besitzen und den ersten Platz auf dem vermeintlich gefestigten Siegertreppchen der Emotionen einnehmen, ist wohl oder übel der normale Gang der Dinge.

Als ich also vor einigen Tagen erfuhr, was ich niemals für möglich gehalten hätte, krachte ich mit einem gigantischen Wums von meiner Endorphinwolke zurück auf den harten Boden der Realität.

Das Hoch folgt immer. Manchmal dauert es einfach nur ein wenig.

Mit jemandem über das reden, was ich erfahren hatte? Schwierig, weil es für dieses Dilemma nur eine ganz simple Lösung gibt: Die Akzeptanz. 

Doch diese Rechnung hatte ich ohne die Frauen meiner Familie gemacht: Meine Mutter und meine Großmutter.

Zwei Frauen, die vom Leben schon mehr als einmal so richtig durchgeschüttelt wurden, die in der Krisenbewältigung einfach große Klasse und ganz hervorragende „Altersdiplomaten“ sind.

Ein Hoch auf die Altersdiplomatie

Der Begriff der „Altersdiplomatie“ kam mir sehr spontan am Abend meiner seelischen Offenbarung. Wir waren bei meiner Großmutter zu Besuch, tranken Wein und eigentlich hatte ich das Gefühl, dass ich mich in das lustige Treiben unserer Gespräche ganz prima integrieren würde. Eigentlich.

Denn als ich da so saß und mir das Lachen mit voranschreitendem Abend wohl immer mehr von den Lippen wich, ereilte mich irgendwann die vertrauten Worte meiner Großmutter: „Schätzchen, ich weiß, wenn etwas ist, erzählst du es eigentlich immer von dir aus. Aber jetzt sitzt du schon seit zwei Stunden mit deinem gequälten Gesicht hier und ich wusste doch schon bei unserer Begrüßung, dass etwas nicht stimmt“.

Mehr Worte brauchte es nicht und so erzählte ich meine kleine Geschichte der Ernüchterung.

Altersdiplomaten sind Künstler im Reagieren

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Der Planet der Altersdiplomatie – Eines Tages werde ich ihn hoffentlich erreichen. Illustration: Anne Reibold

Was mir dann, nach Beendigung meiner emotionsgeladenen Erzählung widerfuhr, war das Phänomen der „Altersdiplomatie“.

Eine Wortneuschöpfung, die mir just in diesem Moment in den Kopf kam.

Denn alles was an Reaktionen geschah, war erst einmal nichts. Keine bemitleidenden Gesichtsausdrücke, oder gar einen verbalen Verteufelungsschwall gegen den Auslöser dieser Misere.

Alles was ich bekam, war ein warmes Lächeln meiner Großmutter und einen sehr verständnisvollen und gleichzeitig unterstützender Blick meiner Mutter. Das war´s.

Altersdiplomatie – Man muss die Feste eben feiern, wie sie kommen

„Na und?“ sagte meine Großmutter dann irgendwann mit ihrer aufbauenden Stimme. „Schön ist das natürlich überhaupt nicht, aber es ist nun Mal wie es ist. Da kannst du leider nichts dran ändern, außer damit zu leben. Nimm doch das davon mit, das dir guttut und alles andere, das wird sich mit der Zeit von ganz allein klären“.

Kein negativer Worterguss, kein bemitleidendes „Du armes Kind“, kein Abschweifen in vergangene selbst erlebte Dilemmata, um zu zeigen, dass ich nicht die einzige bin, der so etwas schonmal passiert ist. Nein, nichts dergleichen. Nur Ruhe, ein rationales Abwägen des Erzählten, Gelassenheit und eine gewisse Portion Sarkasmus – die „Altersdiplomatie“ eben.

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Was sich für mich anfühlte, als hätte ich den beiden gerade erzählt, dass ein dritter Weltkrieg ausbrechen würde und ich dafür verantwortlich sei, wurde von meiner Großmutter wie folgt bewertet:

„Sei doch froh, dass du jetzt Gewissheit hast! Genieß dein Leben, du bist noch so jung und du wirst noch unglaublich viele tolle Dinge erleben. Hinfallen wirst du so oder so immer wieder, das nennt sich einfach Leben.

„Böses Blut vergießen bringt nichts“

Selbstverständlich darf man sich nicht alles im Leben gefallen lassen, aber geschickt muss man es machen. Mit einem ordentlichen Sinn für Diplomatie. Und den Humor darf man bei all dem Ärger niemals verlieren. Denn es gibt immer einen Grund für eine Handlung, sei es ein guter oder ein schlechter.

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Und diese Handlung des Verschweigens (oder die eher „Nicht-Handlung“, wie ich sagen würde, weil ich meine Ernüchterung ja leider auf eigene Faust herausfinden musste) lebt von den schönen Erinnerungen der Vergangenheit und der Freude auf die Zukunft.

Wehtun wollte dir damit niemand, dahinter verbirgt sich nur die Sorge, dass das Schöne ein abruptes Ende haben wird. Deswegen genieß das, was du hast, solange es dir guttut.

Tut es dir nicht mehr gut, dann lass es bleiben, aber solange du Freude hast, nimm doch mit was du kriegen kannst – Diese Zeit kommt nie mehr wieder“.

Und da war sie, diese Altersdiplomatie.

Unwissentlich habe ich sie wohl schon sehr oft erfahren, jedoch habe ich sie immer anders gedeutet. Als gut gemeinten Ratschlag eben, als etwas, was wohl jeder Erwachsene Mensch einem Jüngeren raten würde, weil er ihm helfen möchte. Aber Reaktionen dieser Art haben eine viel tiefere Verwurzelung. Sie werden nicht nur gesagt, um dem Gegenüber für einen Moment ein Gefühl des Mitfühlens und des Verständnisses zu zollen.

Diese Worte sind aus tiefstem Herzen so gemeint, weil sie von einem Menschen ausgesprochen werden, der in seinem Leben schon so oft in einer Situation wie der meinen gesteckt hat. Und aus ihnen, aber gerade auch aus den eigenen Reaktionen auf vergangene ernüchternde Erlebnisse, seine Lehren gezogen hat.

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Schade, dass dieses Phänomen der „Altersdiplomatie“ wohl wirklich erst mit dem Alter eintreten wird. Bis dahin müssen wir jungen Menschen unsere Lebenserfahrungen sammeln und die Altersdiplomaten als einen Anker im Kopf behalten, zu dem wir hoffentlich selbst eines Tages werden.

Denn dann können wir unseren Kindern und Enkelkindern unsere altersdiplomatischen Ratschläge weitergeben – und mit einem kleinen Schmunzeln auf unsere eigene Lebensreise zurückblicken.

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